IRMINA – eine Rezension von Benjamin Schanz
IRMINA von Barbara Yelin, Reprodukt
Benjamin Schanz betreut die Warengruppe Comics in der Thalia-Filiale der Wiener Mariahilferstrasse. Anlässlich des Graphic Novel-Abends mit Barbara Yelin am kommenden Montag dem 16.11.2015 ebendort rezensiert er für uns ihren herausragenden Geschichtscomic IRMINA:
„Man hätte es von ihr nicht erwartet: Der Wandel von der ehrgeizigen jungen Frau, hin zum idealen Heimchen am Herd der Nationalsozialisten.
Barbara Yelin wirft in ihrem Comic IRMINA einen neuen und mutigen Blick auf den Alltag im Dritten Reich. Als Vorlage dienten ihr dabei die Tagebuchaufzeichnungen der eigenen Großmutter. Das Ergebnis ist eine authentische und berührende Geschichte: 1934 zieht die junge Irmina nach England, wo sie eine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin beginnt. Dabei stößt sie allerdings auf mancherlei Probleme: Aufgrund ihrer deutschen Herkunft begegnen ihr die Engländer mit Geringschätzung; sie fühlt sich ausgegrenzt. Ihre geringen finanziellen Mittel machen sie von der Großzügigkeit anderer abhängig und zwingen sie wiederholt die Unterkunft zu wechseln. Einzig bei Howard, Oxfords erstem farbigen Studenten aus Barbados, findet sie so etwas wie Zugehörigkeit. Beide sind sie mit Vorurteilen behaftete Außenseiter, beide müssen sie sich stets von neuem beweisen. Als sie jedoch erneut ihr Zimmer räumen muss, beschließt Irmina zurück nach Deutschland zu kehren, ungeachtet der inzwischen dort herrschenden Zustände.
Zu Beginn von Barbara Yelins Comic beginnt man noch Sympathien für die Figur Irmina zu entwickeln. Umso härter trifft einen ihre spätere Entwicklung: Ihr Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben ist Zynismus gewichen; sie beginnt sich in den Nationalsozialismus zu integrieren und daraus Vorteile zu ziehen. In England hatte sie Howard noch energisch gegenüber Diskriminierung aufgrund seiner Hautfarbe verteidigt. Nun beobachtet sie ungerührt die Plünderung jüdischer Geschäfte. Den Kontakt mit Howard verliert sie schließlich. Von der einstigen Irmina, die einfach nur ihr Leben selbst gestalten möchte, ist nicht mehr viel übrig.
{mosimage} Im Gegensatz zu den meisten künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Alltag der Nazizeit geht Irmina einen anderen Weg: Oft vermitteln erstere den Eindruck, dass die Menschen keine andere Wahl gehabt hätten, als sich zu fügen. Hier hingegen kommt man als Leser in einen moralischen Zwiespalt. Es ist leicht, Irmina zu verurteilen. Sie hätte schließlich bei Howard bleiben und alles hinter sich lassen können. Doch der Comic nimmt sich ausreichend Zeit, um Irminas Umstände ausführlich zu vermitteln. Ihr ganzes Leben scheint von Scheitern und Ausgeschlossenheit bestimmt zu sein. Vergeblich versucht sie ihrem Leben einen Sinn zu geben, doch „die meisten kommen ganz gut ohne mich aus“, wie sie gesteht. Als Leser weiß man genau, woher Irminas Resignation stammt und bekommt einen Eindruck für die Verlockungen des Nationalsozialismus. Dadurch gelingt es Barbara Yelin eindrucksvoll mit Irmina eine Figur zu kreieren, bei der Verständnis und Abneigung so nahe beieinander liegen, wie selten. Besonders im abschließenden Teil tritt dies nochmals besonders hervor: Der Comic zeigt Irmina als alte einsame Frau, die schließlich mit ihren einstigen Entscheidungen konfrontiert wird. Dabei überlässt es die Künstlerin den Lesern selbst, ob man hier Genugtuung oder Mitleid empfinden möchte – in jedem Fall keine leichte Entscheidung.
Die Frage, ob die Geschichte auch in einem anderen Medium funktionieren würde, soll hier nicht beantwortet werden. Es muss aber gesagt sein, dass sie als Comic hervorragend funktioniert. Die Bilder sind eine wahre Augenweide, allesamt liebevoll gezeichnet: Man erkennt jeden einzelnen Bleistiftstrich, sowie die Kolorierungen von Hand. Die Panele haben keine scharfen Abgrenzungen – Rauchschwaden setzen sich gerne auch mal im nächsten fort. Dieser detailverliebte Stil lässt einen auch am Ende noch jedes Bild gerne ausführlich betrachten. Die von Yelin verwendeten, meist blassen Farben passen stets zur Stimmung und erzeugen eine intensive Atmosphäre. Somit gelingt es IRMINA auch dann viel zu erzählen, wenn kaum oder gar kein Text vorhanden ist – Comic-Kunst in ihrer schönsten Form. Eine eindeutige Empfehlung für differenzierte Leser.“
IRMINA von Barbara Yelin, Reprodukt
ISBN-13: 9783956400063, 288 Seiten, In Farbe, 20 x 23,5 cm, Hardcover
Preis: 39,90 EUR
Text (C) Benjamin Schanz
Bilder (C) Reprodukt, Barbara Yelin
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