VATERLAND – eine Rezension von Benjamin Schanz
Benjamin Schanz – seines Zeichens Betreuer der Warengruppe Comics in der Thalia-Filiale Mariahilferstrasse – rezensierte für pictopia.at Nina Bunjevacs Graphic Novel VATERLAND:
„Nina Bunjevac wuchs ohne ihren Vater auf. In ihrem Comic Vaterland zeichnet sie die Geschichte eines Mannes nach, der am Ende seinem eigenen Radikalismus erlag.
„Es schien, als ob alles, was er je begriffen, gesehen und erfahren hatte, aus Angst und Gewalt entstanden war.“ Zu dieser zentralen Erkenntnis gelangt die 1973 als Kind jugoslawischer Auswanderer in Kanada geborene Nina Bunjevac bei der Auseinandersetzung mit dem Leben ihres Vaters. Wirklich kennengelernt hatte sie den fanatischen Tito-Gegner nie, denn bereits während ihrer Kindheit verließ die Mutter ihren Mann Peter und floh mit den beiden Töchtern zu den Großeltern nach Jugoslawien. Der Grund hierfür lag einerseits an seinem Alkoholismus, vor allem aber an seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe serbischer Nationalisten. Diese schreckte bei der Durchsetzung ihrer antikommunistischen Ziele auch vor Attentaten nicht zurück. Nachdem die Mutter von einer Explosion nahe des kroatischen Gemeindezentrums erfährt, lebt sie in ständiger Angst um das Leben ihrer Familie. Diese Angst führt schließlich zur Flucht nach Jugoslawien. Dorthin kann der Vater ihr aufgrund seines Einreiseverbots nicht folgen und Nina Bunjevac wächst bei ihrer Mutter und den Großeltern auf. Doch auch nach dem Verlust von Frau und Kindern weicht er nicht von seinen Überzeugungen ab, bis er schließlich bei einem missglückten Bombenattentat ums Leben kommt.“
„Somit kann die Künstlerin nur versuchen die Geschichte ihres Vaters zu
rekonstruieren und das tut Nina Bunjevac ihrem Comic Vaterland sehr
gewissenhaft und gründlich. So zeigt sie das Leben ihres Vaters nicht
isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem innerjugoslawischen Konflikt.
Dabei ist es beachtenswert, wie viel historisches Hintergrundwissen sie
geschickt neben der eigentlichen Handlung vermittelt. Nicht nur die
Geschichte ihrer Familie wird hierdurch verständlicher, sondern auch die
Situation der ehemaligen Jugoslawischen Staaten. Peter wuchs während
des Zweiten Weltkriegs als Außenseiter umgeben von Gewalt und Angst auf,
ein wirkliches Zugehörigkeitsgefühl schien er erst bei den serbischen
Nationalisten zu erfahren. Dadurch werden seine Taten zwar nicht
entschuldbar, doch erhält man die Möglichkeit, hinter alledem noch den
Menschen zu sehen. Vaterland wirft damit auch die Frage auf, wie weit in
manchen Situationen noch eigene Entscheidungen getroffen werden können:
„Ich stecke zu tief in dieser Scheisse und kann da nicht mehr raus“,
schreibt Peter in einem seiner Briefe an Ninas Mutter, in denen er sie
anfleht, zurückzukommen.“
„Neben der inhaltlichen Ebene kann der
Comic auch graphisch überzeugen. Durch die düsteren
Schwarz-Weiß-Zeichnungen erzeugt die Künstlerin eine perfekte
Komposition aus Sprache und Bild. Bereits beim bloßen Durchblättern
besitzen die Zeichnungen eine hohe Aussagekraft. Sie sind realistisch
gehalten und lassen bei genauerem Hinsehen hinter der scheinbaren Statik
zahlreiche Details erkennen.“
„Vaterland ist ein äußerst
lesenswerter und aktueller Comic. Nina Bunjevac zeigt die
extremistische, aber auch die menschliche Seite ihres Vaters, eine
eindeutige Gut-Böse-Zuschreibung bleibt aus. Es ist eine
Familiengeschichte, eine Vatersuche und beschäftigt sich mit der Frage
nach der Entstehung von Gewalt.“
Text Copyright Benjamin Schanz 2015
Nina Bunjevac: „Vaterland“ (avant-verlag)
VATERLAND von Nina Bunjevac, avant-verlag
ISBN-13: 9783945034163, Schwarzweiss, 156 Seiten, Hardcover mit Halbleinen, 20 x 27.5 cm
Preis: 25,70 EUR
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