Ihr inneres Konzept ist das der geordneten Welt, ihre Tätigkeit deren mögliche Abbildung in der gemessenen Zahl. Sowohl dem melancholischen Pynchon als auch dem draufgängerischen Miller bedeuten diese abstrakten Zahlen den Zusammenhalt ihrer ganz persönlichen Existenz, ermöglichen ihnen eine Art Verankerung im Konkreten: für Pynchon, der über den Tod seiner geliebten Frau nicht hinwegkommt, für Miller, der sich unablässig weiter in sexuellen Ausschweifungen und ihren emotionalen Bedeutungslosigkeiten verliert.
Gemeinsam stellen sie sich anfangs der Aufgabe des Ziehens einer Demarkationslinie, die sie für eine größere unterbrechen: die Messung des Venusdurchgangs, mittels dessen die Entfernung der Erde zur Sonne berechnet werden soll. Doch mit der Größe der Aufgabe scheint auch beider ganz persönliche Ausweglosigkeit zu wachsen, und je genauer die Entfernungen definiert werden, desto enger und unüberwindlicher ziehen sie auch ihre eigenen Grenzen.
Mit literarischen Mitteln und in einem eindringlich reduzierten Zeichenstil entführt uns Leopold Maurer in gleichermaßen berührenden wie komischen Szenen in die nicht ausschließlich rational erfassbare Welt der beiden Protagonisten, die nicht nur von Zahlen sondern auch von schießwütigen Zwillingsbrüdern und seltsamen Heiligen bevölkert wird, von Werwölfen und poetisch veranlagten Kanalkrokodilen.
Leopold Maurer
MILLER & PYNCHON
(Luftschacht) http://www.luftschacht.com
Absurde Landvermessungen.
Mit Leopold Maurer´s MILLER & PYNCHON ist soeben eine neue Graphic Novel aus Österreich erschienen.
Mit viel Gespür für Skurrilität, subtilen Humor und Poesie lotet Maurer in diesem famos komponierten Comic den schmalen Grad zwischen Vernunft und Unvernuft aus und verbindet die Schicksale zweier ungleicher Landvermesser mit jenen von Werwölfen und Kanalkrokodilen.
Miller und Pynchon sind sehr unterschiedlich: Pynchon ist ordnungsliebender Astronom, vorsichtig und zurückhaltend, sein Assistent Miller, der einen Teil seiner Jugend im Priesterseminar verbrachte, bis ihn seine sexuellen Leidenschaften fast in den Selbstmord getrieben hätten, ist hingegen impulsiver und „wandelbarer“ (vor allem bei Vollmond).
Das ungleiche Paar ist damit beauftragt worden eine Demarkationslinie zu vermessen. Zeit und Ort dieses Unterfangens sind unklar und dessen Sinnhaftigkeit prinzipiell anzweifelbar. Pynchon, der den Tod seiner geliebten Frau nicht verschmerzen kann, bietet Arbeitseifer und wissenschaftlichen Ethos auf, um alles auf geregelter Bahn zu halten, während sich sein Assistent Miller allzu gerne ablenken lässt und Ablenkungen lauern hinter jeder Hecke.
Die ordnenden Grenzen brechen schneller auf als sie gezogen werden können. Die Welt des gesunden Menschenverstandes wird von innerpsychischen ebenso wie außerweltlichen Phänomenen belagert, denen beizukommen bald mehr Anstrengung verlangt, als die nüchterntrockene Arbeit des Vermessens.
Hinzu kommt noch eine Reihe von Begegnungen mit merkwürdigen Figuren, wie etwa einem sprechenden Kanalkrokodil, oder einem schießwütigem Zwillingspaar namens Thomas und Bernhard. Dass all diese skurril anmutenden Einfälle sich in eine harmonische, ja gar poetische Geschichte zusammenfügen, die gleichermaßen Traurigkeit, Humor und den diskreten Charme des Absurden verströmt, ist der außerordentlichen Erzählkunst Maurers zu verdanken.
Fast jede Seite von MILLER & PYNCHON ist ident in 6 Einzelbilder aufgebaut: drei ZweierBildfolgen untereinander. Diesem scheinbar engen formalen Korsett wird mit minimalistischen Zeichnungen und einem äußerst beredten Tuschestrich ein Maximum an emotionalen Tiefgang abgewonnen: tragische Liebe und genetische Bestimmtheit sind nur zwei von vielen Themen, die in diesem so berührend wie unaufgeregt erzählten Comic angeschnitten werden. Empfehlenswert.
9/10
Alexander Kesselring
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